POLITIK...


F I N A N Z K R I S E


Eine Stadt vom Stamme Nimm

Berlin hat seine Finanzkrise selbst verursacht. Seit dem Krieg wird das Bundesland subventioniert - und kann nicht auf eigenen Füßen stehen

Von Klaus-Peter Schmid

Foto: Henry Ries/dpa/Ullstein

Erst waren's zwei, dann drei, dann vier Milliarden. "Plus x", fügte vor dem Wochenende Berlins Finanzsenator Peter Kurth (CDU) vorsichtig hinzu, und nach dem Wochenende war das Loch im Berliner Haushalt dann plötzlich um sieben Milliarden Mark gewachsen. Schuld daran ist ein Defizit bei der Berliner Bankgesellschaft, die zu 56,6 Prozent dem Land Berlin gehört.
Irgendwie müssen die durch faule Kredite und spekulative Immobiliengeschäfte entstandenen Verluste ausgeglichen werden, am besten vom Mehrheitsaktionär.




Senator Kurth hatte die Idee,

Bundesfinanzminister Hans Eichel könnte die Sache richten. Schließlich war Berlin schon immer der teuerste Kostgänger des Bundes - und der treueste. Seit gut 50 Jahren hängt der Stadtstaat am Tropf der Republik, und daraus ist eine einschläfernde Abhängigkeit geworden. Das fing 1948 mit dem Notopfer Berlin an. Es war die Antwort auf die kostspielige Luftbrücke. Auf jede Postsendung musste die blaue Zwei-Pfennig-Marke geklebt werden, alle Einkommen natürlicher und juristischer Personen wurden mit einer Sondersteuer von bis zu vier Prozent belastet. Ganze drei Monate lang sollte die Abgabe erhoben werden, doch das Notopfer verschwand erst Ende 1957.


Die "Besondere wirtschaftliche Einheit Berlin (West)",

wie es im Bürokratenjargon hieß, musste allerdings weiter gestärkt werden, um den Stürmen des Kalten Krieges zu trotzen. Das war die hohe Zeit der "Zitterprämien". Wer in Berlin investierte oder dort arbeitete, wurde für das Ausharren belohnt: mit geringerer Umsatzsteuer und großzügiger Investitionsförderung, mit Reduktionen der Einkommensteuer und Arbeitnehmerzulagen. Mitte der siebziger Jahre machten die Subventionen 15 Milliarden Mark im Jahr oder 7500 Mark je Berliner aus.


Mit absurden Folgen:

Fast ein Drittel des Berliner Industrieumsatzes entfiel plötzlich auf Tabakerzeugnisse und Kaffee, bis zur Wende kamen drei von vier in der Bundesrepublik erzeugten Zigaretten aus Berlin. Textilien wurden an die Spree verfrachtet und zwecks niedrigerer Umsatzsteuer mit dem Etikett "Hergestellt in Berlin" versehen. Für jeden Arbeitsplatz schoss der Bund allein durch das Umsatzsteuerprivileg 110 000 Mark im Jahr zu.


Parallel dazu

(und das seit 1948) floss die direkte Bundeshilfe. Unterm Strich hieß das: Mehr als die Hälfte des Berliner Haushalts wurde regelmäßig aus Bundeszuschüssen bestritten. Berlin leistete sich dafür den mit Abstand üppigsten Beamtenapparat und die umfangreichsten Unternehmensbeteiligungen aller Bundesländer, ergänzt um jede Menge Liegenschaften. Dazu kam ein aufwändig subventioniertes Kulturleben, schließlich galt es, die Konkurrenz mit Ost-Berlin zu bestehen.


Es traf die Insulaner hart,

als sie plötzlich umdenken mussten. Mit dem Ende des Kalten Krieges hörte der warme Geldregen aus der Bundeskasse auf. Binnen fünf Jahren wurde der Bundeszuschuss radikal zusammengestrichen, seit 1995 nimmt Berlin wie jedes andere Bundesland am Länderfinanzausgleich teil. Von den 20 Milliarden Mark, die der Bund noch 1991 überwies, blieben 1995 noch elf Milliarden übrig.


Berlin bildete inzwischen das Schlusslicht

beim regionalen Wirtschaftswachstum, und dem seit 1990 schwarz-roten Senat fiel nicht viel mehr ein, als die Ausgaben, die bis zum Fall der Mauer der Bund übernommen hatte, durch Schulden zu finanzieren. Erst Anfang 1996 wagte die Stadt Neues. Die neue Finanzsenatorin Annette Fugmann -Heesing machte sich an die Privatisierung von Beteiligungen und an den Verkauf von Immobilien. Die Energieversorger Bewag und Gasag, dazu Wasserbetriebe, Grundstücksfonds und Wohnungsbaugesellschaften - nichts war tabu. Doch schon 1997 unkte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Ob die Verkäufe dauerhaft zu einer Haushaltsentlastung führen, ist fraglich."


Fugmann-Heesing versilberte Landeseigentum

im Wert von zehn Milliarden Mark, machte Eindruck bei ihren Genossen (und nicht nur bei ihnen), aber nach den Wahlen von 1999 wollte die schwarz- rote Filzriege die "Spar-Domina" lieber nicht mehr im Senat sehen. Ihr Nachfolger, der CDU- Mann Peter Kurth, gibt sich seitdem redlich Mühe, die Verschuldung zu bremsen. Jahr für Jahr sanken die Ausgaben, und das Defizit von elf Milliarden Mark im Haushalt 1995 schrumpfte auf nur noch 3,6 Milliarden im laufenden Jahr.


Dass Berlin jetzt trotzdem so nah an der Zahlungsunfähigkeit

ist wie noch nie, hat es sich selber zu verdanken. Seit Jahren ist bekannt, dass die Bankgesellschaft und ihre Töchter in höchst wackligen Anlagen engagiert sind. Jetzt brachten dubiose Geschäfte mit Immobilienfonds das Fass zum Überlaufen, und wie in Berlin üblich fehlt auch nicht der politische Skandal im Hintergrund (ZEIT Nr. 12/01). Derzeit laufen 23 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue, und der zehntgrößten Bank der Republik droht die Untersagung von Kreditgeschäften und damit möglicherweise die Zerschlagung.


Woher jetzt Geld für das Überleben

der Bankgesellschaft nehmen? An dem Institut sind neben Berlin vor allem die NordLB mit 20 Prozent und der Versicherungverbund Parion mit 7,5 Prozent beteiligt. Vor allem die NordLB könnte ihre Beteiligung aufstocken. Doch dazu ist die Landesbank angeblich nur bereit, wenn sie die unternehmerische Führung des Instituts bekommt. Von einem Einstieg der Sparkassen ist die Rede, Berlin könnte seinen Anteil ganz oder teilweise verkaufen. Aber wer will schon eine marode Bank haben?


Berlin hat sich

zu einer unbegrenzten Bürgschaft verpflichtet, um das vorläufige Überleben der Bankgesellschaft zu garantieren - und wohl auch, um Panik in den Schalterhallen zu verhindern. Würde die Bürgschaft tatsächlich fällig, wäre guter Rat teuer. Dann könnte Berlin versuchen, vor Gericht eine Bundeshilfe zu erstreiten, so wie Bremen und das Saarland das 1992 mit Hinweis auf ihre "extreme Haushaltsnotlage" erfolgreich taten. Die Kriterien, die das Verfassungsgericht damals benannte, erfüllt Berlin heute schon (zum Beispiel dass ein Viertel seiner Steuereinnahmen vom Schuldendienst aufgefressen wird). Aber die Exsenatorin Fugmann-Heesing warnt: "Der Bund muss dem Land nur helfen, wenn die Notlage unverschuldet ist." Daran hat nicht nur sie ihre Zweifel. Und auf jeden Fall wäre die Blamage für die schwarz-rote Koalition gewaltig: Hans Eichel würde Kurth und Co vorschreiben, wofür sie Geld ausgeben dürfen und wofür nicht.


Dabei meldete Finanzsenator Kurth

in den vergangenen Wochen ohnehin ständig neue Haushaltsrisiken. Die Renovierung der Museumsinsel verteuert sich um 30 Millionen Mark, die Personalausgaben werden mindestens 200 Millionen höher liegen als im Haushalt 2001 eingeplant, Steuerausfälle kommen auf Berlin zu, vom Ausfall der eingeplanten 135 Millionen Dividende von der Bankgesellschaft ganz zu schweigen. Vor allem wird aus den zwei Milliarden Mark vorerst nichts, die der Senat ursprünglich erlösen wollte, indem er Anteile an der Bankgesellschaft verkauft. Unterm Strich hat sich deshalb im laufenden Haushalt ein Fehlbetrag von mehr als neun Milliarden Mark angesammelt.


Anfang der Woche

bekräftigte Hans Eichel seine Weigerung, für Berlin in die Kasse zu greifen. Es soll bei der auf 7,5 Milliarden Mark zusammengeschrumpften Bundeshilfe bleiben. So wird Berlin gar nichts anderes übrig bleiben, als die Lücke mit zusätzlichen Krediten zu füllen. Dabei hat Berlin heute schon 65 Milliarden Mark Schulden, doppelt so viel wie Hamburg, mit dem es 1992 noch gleichauf lag. Jeder Berliner ist statistisch mit rund 19 000 Mark verschuldet, doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Bundesländer. Neue Milliardenkredite bescheren den Berlinern zudem ein Verfassungsproblem. Denn die Landesverfassung sieht (ähnlich dem Grundgesetz) vor, dass die Nettokreditaufnahme nicht höher sein darf als die im Haushalt ausgewiesenen Investitionen. Der schon heute unvermeidliche Nachtragshaushalt wird diese Regel mit Sicherheit verletzen, die Opposition könnte dann wie jeder Bürger vor Gericht ziehen und den Haushalt zu Fall bringen.


Vor allem aber

werden damit die Sparerfolge der vergangenen Jahre zunichte gemacht, und die Gefahr ist groß, dass die Hauptstadt resignierend in den alten Trott des Schuldenmachens zurückfällt. Ihre Meinung zu einer solchen Politik verriet Fugmann-Heesing schon im März 1998: "Wer jetzt eine Verschnaufpause verlangt, kommt mir vor wie ein Alkoholiker auf Entzug, der meint, ein Schnäpschen kann nicht schaden."



Quelle: DIE ZEIT

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